Episches Drama: Aufbau, Werke & Beispiele

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Das epische Drama verbindet zwei Gattungen: Die Epik und das Drama – eine ungewöhnliche Verbindung, die maßgeblich auf Bertolt Brecht zurückgeht. Anders als das klassische Drama experimentiert das epische Theater mit Form, Handlung und Schauspielern.

Ursprünge des Dramas: Das klassische Drama

Um zu verstehen, was das epische Drama so besonders macht, ist es sinnvoll, einen Blick auf das klassische Drama zu werfen. Erst wenn die Besonderheiten dieser Gattung geklärt sind, kann auf das spezifische Prinzip des epischen Dramas eingegangen werden, das sich durch markante Kontraste vom klassischen Drama abhebt. Doch zunächst zur Tragödie, wie sie sich seit der Antike an Beliebtheit erfreut: Das klassische Drama war bereits in der Antike Gegenstand von Theorieschriften. So widmete sich Aristoteles dem Drama und den sogenannten „drei Einheiten“: Der Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung. Ein Trauerspiel sollte auf den zeitlichen Rahmen eines Tages beschränkt sein, sich lediglich an einem Schauplatz abspielen und wenn möglich nur einen Handlungsstrang haben, so die Quintessenz der drei Einheiten.

Ein solches formstrenges Drama hat das Ziel, die Zuschauer durch Furcht und Mitleid zu reinigen. Nach dem Schauspiel sollte das Publikum also eine sog. „Katharsis“ erfahren. Diese könne durch eine Ständeklausel intensiviert werden: Wenn die Protagonisten eine besonders hohe soziale Stellung innerhaben, so ist die Fallhöhe bei der Katastrophe größer und somit reinigender. Gustav Freytag, ein deutscher Dramentheoretiker, fokussierte den Aufbau des klassischen Dramas in fünf Akten. Jedem Akt sollte eine Funktion zukommen, wobei sich die Handlung bis zum dritten Akt verdichtet und steigt und dann nach der Peripetie im vierten und fünften Akt fällt. Das klassische Drama endet dann mit einer Katastrophe, bei welcher der Held schließlich untergeht. Doch anders als das klassische Drama verzichtet das epische Drama auf diese gängigen Konventionen.

Video:Das Epische Theater am Beispiel Brecht | Deutsch | Literatur

Das epische Drama und seine Besonderheiten

Das epische Drama wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland vor allem von Bertolt Brecht begründet. Neben Erwin Piscator gilt jedoch vor allem Brecht als ein Vertreter des epischen Dramas, es könnte sogar behauptet werden, dass Bert Brecht das epische Drama zu dem gemacht hat, was es heute ist. Brecht verstand sich nie als unpolitischen Schriftsteller, im Gegenteil: Schon in der ersten Phase seiner Schaffenszeit äußerte sich der Brecht kritisch und politisch links. Mit der Machtergreifung der Nazis wurde es für den Kommunisten Brecht immer schwieriger, in Berlin zu bleiben. Auch wenn Brecht nie der KPD beitrat, so verstand er sich doch immer links und vor allem gegen das Nazi-Regime. Ein Grund, welcher ihn später zwang mit seiner Familie über Prag, Wien und Zürich nach Paris zu fliehen.

Auch seine Stücke und vor allem das epische Drama sind von einer klaren politisch kritischen Sichtweise geprägt. Beim epischen Drama handelt es sich also ganz klar um eine literarische Gattung, die ganz und gar nicht unpolitisch ist. Bereits in den 1920er-Jahren der Weimarer Republik äußerte sich Brecht zur Entstehung des epischen Theaters. So stellte er fest, dass die damalige Welt nicht mehr in die Gattung des Dramas passe. Es musste also eine adäquate literarische Gattung entwickelt werden, welche es vermochte, die gesellschaftlichen Umbrüche der Weimarer Republik einzufangen, zu kommentieren und vor allem auch zu kritisieren. Im besten Falle, so die Attitüde von Brecht, könne das epische Drama politische Veränderungen in Gang setzen, die sich auf Staat, Gesellschaft und Politik auswirken könnten.

Zahlreiche literarische Strömungen reagierten mit Kritik am System auf den Aufbruch in die Moderne. (#01)

Zahlreiche literarische Strömungen reagierten mit Kritik am System auf den Aufbruch in die Moderne. (#01)

Theoretische Hintergründe des epischen Theaters

Das epische Drama ist also eine Gattung, die ganz klar eine politische Botschaft transportieren wollte. Doch wie kam es, dass die Politik schließlich Einzug in die Ästhetik gelangt, war dies doch viele Jahrhunderte zuvor kaum möglich? Generell ist es sicherlich ein wichtiger Aspekt, dass Bertolt Brecht ein Anhänger des Marxismus bzw. des Kommunismus war. Gerade diese neue und besondere Perspektive auf die Gesellschaft als eine Mehrklassengesellschaft von Besitzenden und Arbeitenden war eine neue, auf Karl Marx begründete Sichtweise, die Brechts Weltsicht und damit auch seine Einflüsse auf das epische Theater prägte. So lag es dem Schriftsteller beispielsweise daran, gesellschaftliche Missstände und politische Widersprüche auf die Bühne zu bringen, um das Publikum zum Nachdenken anzuregen. Im Zentrum des epischen Theaters stand hierbei immer wieder Kritik am materialistischen Denken und der Politik.

Diese Besonderheit des epischen Theaters war zu Beginn des 20. Jahrhunderts nichts Neues. Zahlreiche literarische Strömungen reagierten mit Kritik am System auf den Aufbruch in die Moderne. So prägten zahlreiche Neuerungen diese Zeit: Mit der Industrialisierung fiel der Startschuss für einen gesellschaftlichen Umbruch. Immer mehr Menschen zogen in die Städte, mit der Verstädterung ging eine Verelendung der arbeitenden Tagelöhner einher, was wiederum die These Marx‘ bekräftigt. Eine allumfassende Akzeleration setzte ein: Die Produktion verselbstständigte sich, das Automobil wurde salonfähig, die Großstädte mit Straßenbahnen und Co. machten das Leben immer schneller. Kein Wunder also, dass sowohl Naturalismus als auch Expressionismus und Dada auf gesellschaftliche Veränderungen reagierten.

 Durch die Interaktion mit dem Publikum im Stück selbst wurde die Möglichkeit geschaffen, die Zuschauer aus der Distanz auf etwaige Problemstellungen aufmerksam zu machen und einen Denkprozess auszulösen. (#02)

Durch die Interaktion mit dem Publikum im Stück selbst wurde die Möglichkeit geschaffen, die Zuschauer aus der Distanz auf etwaige Problemstellungen aufmerksam zu machen und einen Denkprozess auszulösen. (#02)

Episches Drama als Kritik an den Herrschenden

Auch das epische Drama kann als Versuch gewertet werden, den Aufbruch in die Moderne bzw. die politischen Missstände der Weimarer Zeit zu verarbeiten. Dafür bediente sich diese besondere literarische Gattung spezifischen Effekten, die vor allem das Publikum einbeziehen sollten. Durch die Interaktion mit dem Publikum im Stück selbst wurde die Möglichkeit geschaffen, die Zuschauer aus der Distanz auf etwaige Problemstellungen aufmerksam zu machen und einen Denkprozess auszulösen. Anders als beim klassischen Drama, das beim Zuschauer eine individuelle Katharsis auslösen sollte, arbeitete das epische Drama vor allem mit Parabeln und Gleichnissen – eben, um das Ganze möglichst allgemein zu halten, sodass der Zuschauer angeregt wird, das Gesehene durch Transferleistung auf die gesamte Gesellschaft zu übertragen.

Themenschwerpunkte waren hier immer wieder die Unterschiede von Herrschenden und den Beherrschten – ähnlich der Marx’schen Theorie von den beherrschenden Kapitalisten und den benachteiligten Proletariern. Immer wieder versuchte das epische Drama, die Ideologien von Herrschenden aufzudecken, um dem Publikum Machtanreize und verborgene Tendenzen aufzuzeigen. Niemals arbeitete das epische Theater jedoch mit „echten“ Bezügen oder Protagonisten. So wurde Arturo Ui zwar als totalitärer Herrscher dargestellt, niemals aber ein konkreter Bezug zu Hitler gesponnen. Vielmehr lag dies am Publikum selbst, das eben dazu geschult werden sollte, gesamtgesellschaftliche Probleme durch Parabeln zu erkennen.

Video:Bertolt Brecht – Der gute Mensch von Sezuan

Der Verfremdungseffekt, Aufbau und Regieanweisungen

War das Theater in früheren Zeiten lediglich der Oberschicht vorenthalten, sollte sich dies laut Brecht mit dem epischen Theater in den 1920er-Jahren ändern. Vom Unterhaltungsinstrument für Reiche und Gebildete wurde das Bühnenspiel mit dem epischen Theater eine Veranstaltung für alle, aber insbesondere das Proletariat, um dieses zum Nachdenken anzuregen. Dafür entwickelte Brecht sein episches Theater weiter, zu einer besonderen Form des Schauspiels, die möglichst wenig mit dem klassischen Drama gemein hat. So lag es Brecht vor allem daran, dass das Publikum eine kritische Distanz zu den Figuren auf der Bühne aufbauen könnte. Mit allen Mitteln wurde versucht, dem Zuschauer das „gewöhnliche“ Erlebnis Theater zu nehmen, bei dem er sich unterhalten und in eine andere Welt versetzt fühlte.

Vielmehr ging es Brecht darum, dass das Publikum Missstände, die durch die Schauspieler auf der Bühne performt werden, erkennen kann. Aus diesem Grund „verfremdete“ Brecht die Handlung, die Charaktere und die Rollen durch irritierendes Spiel oder ungewöhnliche Regieanweisungen. Genau dies hatte den Zweck, dem Zuschauer zu zeigen, dass sich der Schauspieler nicht in eine Figur verwandelt, sondern diese lediglich mimt. Diese besondere Art des Distanzschaffens, die dem Publikum die Illusion vom Theater raubt, wird „Verfremdungseffekt“ bzw. in der Kurzform „V-Effekt“ genannt. Der Gedanke, der dahinter steckt, ist ebenso einfach, wie genial: Alles, was dem Publikum merkwürdig erscheint, wird zwangsläufig durchdacht werden. Die Zuschauer werden also durch dieses bestimmte Stilmittel gezwungen, über das Gesehene nachzudenken.

 

Besondere epische Elemente des Theaters wie der Prolog und der Epilog berauben dem Zuschauer der Illusion Theater als Unterhaltung. (#03)

Besondere epische Elemente des Theaters wie der Prolog und der Epilog berauben dem Zuschauer der Illusion Theater als Unterhaltung. (#03)

Der V-Effekt im Detail

Der Verfremdungseffekt ist ein Überbegriff für alle Mittel, die dem Theater seinen besonderen Charakter nehmen. So gehören zum V-Effekt zum einen besonders wirre Regieanweisungen, die einem Charakter genau das nehmen, was für ihn eigentlich typisch wäre. Die Atypik ist dem Zuschauer fremd und er muss unwillkürlich darüber nachdenken, weshalb dem so ist. Zum Verfremden gehört auch das Historisieren.

Das bedeutet, dass Charaktere oder bestimmte Ereignisse als vergänglich dargestellt werden. Auch dies ist eine besondere Methodik, um das Publikum zu motivieren selbst nachzudenken. Genau hier liegt der Knackpunkt, der das epische Theater vom klassischen unterscheidet. Anstatt Phobos und Eleos, also Angst und Mitleid des Gesehenen nachzuvollziehen, um schließlich die Katharsis zu verspüren, soll das Publikum nachdenken.

Besondere epische Elemente des Theaters wie der Prolog und der Epilog berauben dem Zuschauer der Illusion Theater als Unterhaltung. Vielmehr wird das Publikum durch den erzählenden Charakter des epischen Dramas belehrt und aufgerüttelt – eine Funktion, die Brecht als politisch aktivem Schriftsteller besonders wichtig war. Im besten Falle bewirkt das epische Theater mit seinem Verfremdungseffekt, dass das Publikum in der eigenen Handlungssphäre aktiv wird.

Video:32. Deutsch – Drama Das epische Theater

Politische Komponente des epischen Dramas

Auch wenn die politische Komponente einen deutlichen Stellenwert in Brechts Werken und vor allem dem epischen Drama einnimmt, so sollte sie auch nicht überbewertet werden. Eine Vielzahl an Interpretationen agiert nicht werkimmanent, sondern stellt den Autor Brecht mit seiner politischen Haltung (Marxist bzw. Kommunist) über den Inhalt eines jeden Werkes.

Freilich kann bei keinem Werk der Welt trennscharf zwischen Haltung des Autors und der seiner Charaktere differenziert werden, dennoch wäre es schade, einzelne Werke lediglich auf die politische Botschaft zu reduzieren.

Es ist aus diesem Grund durchaus sinnvoll, Werke wie Mutter Courage und ihre Kinder oder Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui immer mit kritischer Distanz zu betrachten. Nie ist es im Sinne des Autoren, einem Werk eine Maske bzw. eine bestimmte Interpretationsbrille überzustülpen.


Bildnachweis:© Fotolia-Titelbild: frog-travel -#01: Andrey Kiselev -#02: M.Dörr & M.Frommherz-#03: skumer

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