Was ist literarische Sozialisation?

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Literatur spielt eine entscheidende Rolle im Lernprozess. Schon in jungen Jahren werden Kinder mit Literatur vertraut gemacht, noch bevor sie die Schule besuchen. Sie lernen die Bedeutung von Texten und Bildern kennen und werden darauf vorbereitet, selbst Leserinnen und Leser zu werden. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass literarische Sozialisation nicht mit Lesesozialisation gleichgesetzt werden sollte, obwohl es Überschneidungen gibt. Es gibt nach wie vor Unterschiede zwischen beiden Konzepten, die berücksichtigt werden müssen.

Die Evolutionsreise der literarischen Sozialisation: Von den Ursprüngen bis zur digitalen Ära

Die Forschungsgeschichte zur literarischen Sozialisation umfasst einen breiten Zeitraum und verschiedene Ansätze. Bereits in den frühen Phasen der Soziologie und Literaturwissenschaft wurden Fragen zur Entwicklung von Lesegewohnheiten, dem Einfluss sozialer Umwelten und Bildungsinstitutionen auf die literarische Bildung untersucht.

In den 1960er und 1970er Jahren wurde die literarische Sozialisation verstärkt aus einer soziologischen Perspektive erforscht. Soziologen wie Pierre Bourdieu betonten die Bedeutung des kulturellen Kapitals, das die Literatur vermittelt, und wie dieses Kapital ungleich verteilt ist und soziale Unterschiede reproduziert.

In den 1980er und 1990er Jahren fokussierte sich die Forschung verstärkt auf individuelle Unterschiede in der literarischen Sozialisation und die Rolle von Bildungseinrichtungen, Familien und Peergroups. Es wurde untersucht, wie diese Institutionen und Gruppen die literarische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen prägen.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Forschung zur literarischen Sozialisation weiterentwickelt, um den Einfluss neuer Medien und digitaler Technologien zu berücksichtigen. Es wird untersucht, wie sich der Wandel der Medienlandschaft auf Lesegewohnheiten und literarische Praktiken auswirkt und wie dies die literarische Sozialisation beeinflusst.

Insgesamt zeigt die Forschungsgeschichte zur literarischen Sozialisation eine Vielfalt an Ansätzen und Methoden, um die komplexen Prozesse der Entwicklung von Lesegewohnheiten und literarischer Bildung zu verstehen.

Die Bedeutung literarischer Sozialisation: Einfluss von Literatur auf Lesegewohnheiten und -motivation

Wenn von literarischer Sozialisation die Rede ist, bezieht sich dies auf den Prozess, neue Leserinnen und Leser durch den Einfluss gesellschaftlicher Institutionen zu gewinnen. Im Vergleich dazu betrifft Lesesozialisation den Einfluss der Printmedien, also wie fiktionale Texte und pragmatische Literatur die Lesegewohnheiten formen. Bei der literarischen Sozialisation hingegen geht es um die Auseinandersetzung mit der literarischen Kultur insgesamt.

Das Zeitalter des Buches nähert sich laut einigen Forschern seinem Ende an, bedingt durch den Wettbewerb mit anderen Medienformen. Die Motivation zum Lesen und die Lesekompetenz junger Menschen nehmen ab und müssen daher aktiv gefördert werden. Dennoch bleibt die Lesekompetenz auch in einer stark medial geprägten Kultur von Bedeutung und sollte als Schlüsselqualifikation gefördert werden.

Was bedeutet literarische Sozialisation? Oft wird angenommen, dass die Schule einen maßgeblichen Einfluss auf die Lesemotivation von Kindern und Jugendlichen hat. Diese Annahme wurde jedoch relativiert, da weitere Einflussfaktoren wie Medien und Familie ebenfalls eine wichtige Rolle spielen können. Insbesondere die Lesemotivation innerhalb der Familie ist von großer Bedeutung.

Die Forschung zur literarischen Sozialisation hat interessante Erkenntnisse hervorgebracht. Früher wurde angenommen, dass Kinder in einem bestimmten Alter feste literarische Interessen entwickeln, doch heute zeigt sich ein vielfältigerer Weg. Forscher sind sich einig, dass Herkunft und Bildungsniveau einen starken Einfluss auf die Lesekompetenz haben können.

Kinder aus gebildeten Familien haben in der Regel eine höhere Lesemotivation und geben diese auch weiter, indem sie bereit sind, sich mit literarischen Texten auseinanderzusetzen.

Die Veränderung der Lesekultur: Einfluss neuer Medien auf Lesegewohnheiten

Die Lesegewohnheiten haben sich in den letzten Jahrzehnten signifikant verändert, hauptsächlich aufgrund des Aufkommens neuer Medien.

Während Bücher lange Zeit als Hauptquelle für Wissen, Ideen, Geschichten und Unterhaltung dienten, haben Kinder und Jugendliche heute Zugang zu einer Vielzahl digitaler Medien wie Fernseher, Computer und Tablets.

Diese Technologien prägen bereits in jungen Jahren die Interaktion mit Informationen. Das traditionelle Vorlesen, das einst als wichtige Vorstufe zur Lesekompetenz galt, tritt immer mehr in den Hintergrund und wird durch Filme und Hörspiele ersetzt.

Dies führt dazu, dass Kinder bereits in ihrer prägenden Phase vor der Herausforderung stehen, zwischen verschiedenen Medien zu wählen, wobei das Lesen nicht immer die erste Wahl ist.

In Anbetracht dieser Entwicklung wird die Förderung der Lesekultur als äußerst wichtig erachtet. Es wird angestrebt, Kinder zum Lesen zu motivieren, obwohl die eigentliche Lesekompetenz oft erst im Grundschulalter entwickelt wird. Der Grundstein für diese Kompetenz wird jedoch bereits in frühen Jahren gelegt.

Die Lesegewohnheiten haben sich in den letzten Jahrzehnten signifikant verändert, hauptsächlich aufgrund des Aufkommens neuer Medien. (Foto: AdobeStock - 181341341  Seventyfour)

Die Lesegewohnheiten haben sich in den letzten Jahrzehnten signifikant verändert, hauptsächlich aufgrund des Aufkommens neuer Medien. (Foto: AdobeStock – 181341341 Seventyfour)

Die Rolle der Schule in der literarischen Sozialisation: Partnerschaft mit Familie und Medien

Grundsätzlich wird angenommen, dass die Förderung der literarischen Sozialisation in erster Linie in der Verantwortung der Schule liegt. Dennoch ist die Zusammenarbeit zwischen Schule, Familie und Medien ein wichtiger Aspekt, der frühzeitig berücksichtigt werden sollte, um die prägsame Phase der Gehirnentwicklung von Kindern nicht zu verpassen.

Dabei steht nicht ausschließlich das Literaturgut im Mittelpunkt, sondern auch andere Ansätze sind möglich. Bilderbücher beispielsweise bieten Kindern einen ersten Zugang zur Welt der Bücher.

Hier erlangen sie die Kompetenz, Bilder zu erkennen und zu interpretieren, sie mit verschiedenen Aspekten und Geschichten zu verknüpfen und somit ihre Gehirnentwicklung zu fördern.

Das Vorlesen und das gemeinsame Lesen sind weitere wichtige Schritte, die eine grundlegende Basis für die literarische Sozialisation legen und dann von Bildungseinrichtungen aufgegriffen werden. Kinder, die von Anfang an ein Interesse an Texten zeigen, haben in der Regel weniger Schwierigkeiten, ihre Lesekompetenz zu entwickeln und zu steigern.

Besonders interessant ist die Frage nach der Bedeutung dieses Prozesses. Unabhängig von der praktischen Bedeutung des Lesens im Alltag liegt der Fokus vor allem auf dem literarischen Erbe. Werke aus vergangenen Epochen werden immer wieder neu interpretiert und zum Leben erweckt.

Daher steht die literarische Sozialisation für die Idee, Literatur in den Vordergrund zu stellen, ihr neues Leben einzuhauchen und Generationen dazu zu ermutigen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in diesem Bereich zu vereinen.

Bildungssystem und literarische Sozialisation: Maßnahmen zur Förderung der Lesekompetenz

Kinder bringen vielfältige Erfahrungen in Bildungseinrichtungen mit, da ihre Sozialisationswege äußerst unterschiedlich verlaufen. Sowohl elementare Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten als auch Schulen gestalten ihre pädagogischen Aktivitäten und ihren Beitrag zur literarischen Sozialisation nach den Vorgaben von Bildungs- und Lehrplänen. Bereits im Vorschulalter wird zunehmend darauf geachtet, die literarische Sozialisation in einer mediengestützten Umgebung zu fördern.

Die Schule ist nicht erst dann gefordert, wenn die Lese- und literaturbezogenen Lernvoraussetzungen der Kinder zunehmend heterogen werden. Es geht darum, ein breites Spektrum an literarischen Texten und Medien zu rezipieren sowie unterschiedliche Leseerfahrungen und -kompetenzen zu fördern. „Leseförderung bedeutet einen möglichst natürlichen Umgang mit Texten, eine Orientierung an den Mustern, Zielen und Belohnungen des alltäglichen Lesens sowie die Berücksichtigung entwicklungsabhängiger Interessen und Rezeptionsmodi, einschließlich der Akzeptanz von Lesematerialien, die zwar der schulischen Kultur fremd, aber der von Medien geprägten Kinder- und Jugendkultur vertraut sind.“

Dies umfasst auch Texte und Medien, die traditionell nicht im schulischen Kontext behandelt werden, wie zum Beispiel Comics oder digitale Medien wie Fanfiction in entsprechenden Online-Foren. Sowohl in der Grundschule als auch in weiterführenden Schulen spielt der Fachunterricht Deutsch eine entscheidende Rolle für die literarische Sozialisation.

Neben der Auswahl geeigneter Texte sind pädagogische Ansätze, differenzierte Maßnahmen, vielfältige Unterrichtsmethoden und die Schaffung verschiedener Zugänge zu Texten und Medien wichtige Instrumente, um die literarische Sozialisation auf verschiedenen Ebenen zu fördern und zu stimulieren.

Familie als Sozialisationsagentur: Die Rolle der literarischen Sozialisation im familiären Umfeld

Die Familie spielt eine entscheidende Rolle bei der literarischen Sozialisation, die primär im häuslichen Umfeld stattfindet.

Dabei ist die Familie doppelt bedeutsam:

  • Zum einen gestaltet sie die Phase der „prä- und paraliterarischen Kommunikation“, indem sie den Zugang zu Texten und Medien ermöglicht und durch Aktivitäten wie Vorlesen, Erzählen und gemeinsames Ansehen von TV-Sendungen die literarische Interaktion fördert.
  • Zum anderen prägt die Familie eine bestimmte Werthaltung gegenüber literarischen Inhalten, die zur Teilhabe an der Lesekultur anregen oder dem Lesen entgegenwirken kann.

Dynamik des soziokulturellen Umfelds in der literarischen Sozialisation

Das soziokulturelle Umfeld spielt eine entscheidende Rolle in der literarischen Sozialisation und beeinflusst die Entwicklung von Lesegewohnheiten und -praktiken. Mit zunehmendem Alter und der Ablösung von der Herkunftsfamilie gewinnt die peer-group an Bedeutung und beeinflusst die Einstellungen zur Rezeption literarischer Medien. Die peer-group beeinflusst auch die Intensität und den Umfang von Lesehandlungen sowie die darauffolgenden Kommunikationen über Gelesenes.

Die Bedeutung der peer-group in der literarischen Sozialisation wurde von Forschern wie Philipp (2008) herausgestellt. Es bleibt jedoch eine offene Frage, ob Kinder ihre peer-group aufgrund eigener Rezeptionsneigungen auswählen oder ob ihr Leseverhalten und ihr lesebezogenes Selbstbild sich an dem ausrichten, das in einer peer-group vorherrscht.


Die Einzigartigkeit der Kinder- und Jugendliteratur in der literarischen Sozialisation

Kinder- und Jugendliteratur spielt eine entscheidende Rolle in der literarischen Sozialisation junger Menschen und weist einige einzigartige Merkmale auf.

Im Vergleich zu Literatur für Erwachsene zeichnet sie sich durch ihre spezifische Themenwahl, Erzählstrukturen und Sprachgestaltung aus, die auf die Bedürfnisse und Entwicklungsstufen junger Leser zugeschnitten sind.

Ein besonderes Merkmal der Kinder- und Jugendliteratur ist ihre Vielfalt an Genres und Formaten, die eine breite Palette von Lesemöglichkeiten bieten, angefangen von Bilderbüchern für die Kleinsten über Abenteuergeschichten für Jugendliche bis hin zu komplexen Romanen für junge Erwachsene. Diese Vielfalt ermöglicht es jungen Lesern, ihre eigenen Interessen und Vorlieben zu entdecken und fördert so ihre individuelle literarische Entwicklung.

Darüber hinaus spielt die Illustration eine wichtige Rolle in der Kinder- und Jugendliteratur, da sie die Fantasie anregt, Emotionen vermittelt und komplexe Geschichten auf visueller Ebene unterstützt. Die Verbindung von Text und Bild ermöglicht es jungen Lesern, sich mit den Charakteren und Handlungen zu identifizieren und erleichtert das Verständnis komplexer Themen.

Ein weiteres Merkmal ist die pädagogische Dimension vieler Kinder- und Jugendbücher, die häufig moralische, ethische oder soziale Botschaften vermitteln und den Lesern wichtige Lebenslektionen vermitteln. Diese Bücher bieten jungen Menschen nicht nur Unterhaltung, sondern auch Möglichkeiten zur Reflexion über sich selbst und die Welt um sie herum.

Kinder- und Jugendliteratur spielt eine entscheidende Rolle in der literarischen Sozialisation junger Menschen und weist einige einzigartige Merkmale auf. (Foto: AdobeStock - 707141166 Rumi X)

Kinder- und Jugendliteratur spielt eine entscheidende Rolle in der literarischen Sozialisation junger Menschen und weist einige einzigartige Merkmale auf. (Foto: AdobeStock – 707141166 Rumi X)

Insgesamt bietet die Kinder- und Jugendliteratur einzigartige Möglichkeiten zur literarischen Sozialisation, indem sie junge Leser dazu ermutigt, sich mit Literatur zu beschäftigen, ihre Vorstellungskraft zu entwickeln, ihre Lesefähigkeiten zu verbessern und wichtige Werte und Ideen zu entdecken.

Fazit

Die literarische Sozialisation ist ein vielschichtiger Prozess, der die Entwicklung von Lesegewohnheiten, literarischem Verständnis und kultureller Identität beeinflusst. Sie umfasst die Einflüsse verschiedener sozialer Institutionen wie Familie, Schule und Medien sowie individueller Erfahrungen und Prägungen. Literarische Sozialisation ist mehr als nur das Lesen von Büchern; sie geht darüber hinaus und prägt die Art und Weise, wie wir Geschichten verstehen, interpretieren und schätzen.

Letztendlich zielt die literarische Sozialisation darauf ab, Menschen zu aktiven Lesern zu machen, die in der Lage sind, die vielfältigen Facetten der Literatur zu erkunden und zu genießen, und die Fähigkeit besitzen, sich durch Geschichten weiterzuentwickeln und zu bereichern.

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