Wer nicht länger brav sein will, geht ins Nackttheater

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Das normale Theater kann kaum noch locken, das Nackttheater jedoch zieht immer mehr Besucher an. Ein nacktes Publikum ist ebenfalls üblich im Nackttheater. Wie sich der neue Trend entwickelt hat und was ihn ausmacht, zeigen wir euch im Folgenden.

Update: „Schmidts Winterglitzer“: Ein Theaterspektakel mit sinnlichem Flair

Es war eine ausverkaufte Aufführung am 22. November 2023, als sich die Vorhänge für „Schmidts Winterglitzer“ öffneten und das Publikum auf eine Reise durch ein kitschig-schräges Showspektakel entführt wurde. Präsentiert von den bravourösen Breidenbachs, versprach diese Premiere eine ganz besondere Erfahrung zu werden.

Von Anfang an war klar, dass diese Show alles andere als gewöhnlich sein würde. Nik Breidenbach und seine Schwester Dörthe führten das Publikum durch einen Abend voller Überraschungen und Entertainment. Dörthe beeindruckte nicht nur mit ihrer begnadeten Stimme, sondern auch mit ihrer schlagfertigen Schnauze, die das Publikum immer wieder zum Lachen brachte.

Die Vielfalt der Künstler, die an diesem Abend auf der Bühne standen, war beeindruckend. Terrél Woodbury, ein ehemaliges Mitglied der Harlem Gospel Singers, brachte mit seiner Gänsehautstimme und seinen Entertainer-Qualitäten das Publikum zum Staunen. Jerry Tremblay aus Kanada zeigte mit seinem Kunstrad-Comedy, wie man auf einem Drahtesel unglaubliche Stunts vollführen kann.

Doch es gab einen Höhepunkt, der die Saaltemperatur wortwörtlich in die Höhe trieb. Tronicat La Miez, eine der erfolgreichsten Burlesque-Künstlerinnen Europas, betrat die Bühne und sorgte für einen regelrechten Temperaturanstieg im Saal. Ihre Performance war sinnlich und verführerisch, und sie ließ wenig der Fantasie des Publikums überlassen. Es muss betont werden, dass in dieser Aufführung viel nackte Haut zu sehen war, und dies sorgte für zusätzliche Aufregung unter den Zuschauern.

Nackttheater am Kiez mit Nik Breidenbach und seinem Ensemble in Schmidts Winterglitzer. (Foto: Morris Mac Matzen)

Nackttheater am Kiez mit Nik Breidenbach und seinem Ensemble in Schmidts Winterglitzer. (Foto: Morris Mac Matzen)

„Schmidts Winterglitzer“ war ein wilder Mix aus nackten Fakten, wilden Spielen, wunderbaren Songs, Chaos, Comedy und beeindruckenden Choreografien. Die Artistik der Darsteller war von höchster Qualität, und das Publikum wurde immer wieder mit unerwarteten Wendungen und Überraschungen überrascht.

Insgesamt war „Schmidts Winterglitzer“ eine unvergessliche Aufführung, die mit viel nackter Haut, aber auch mit Talent und Kreativität begeisterte. Das Geschwisterpaar Breidenbach führte das Publikum charmant durch diesen Abend, der voller Glanz und Glamour war. Diese Show wird sicherlich noch lange in den Köpfen der Zuschauer bleiben und ist ein absolutes Highlight in der Hamburger Theaterszene.


Reizüberflutung im Nackttheater

Das Publikum bekommt die Neuheiten des Nackttheaters nicht immer und überall zu sehen. Kritiker sind jedoch der Meinung, dass das Publikum insgesamt mehr nackte Menschen auf der Bühne sieht als im normalen Leben. Nackttheater erweisen sich als laut und durchaus reizvoll, doch die Überflutung der Reize ist allgegenwärtig. Was im Nackttheater anstrengend ist, gilt im normalen Theater als normal: Die Lautstärke und Überflutung mit Reizen. Dass das Theater laut und intensiv sein muss, ist klar, denn innerhalb einer kurzen Zeitspanne müssen ganze Leben und Historien dargestellt werden. Wie sollte es möglich sein, die Bilder und Reize weniger intensiv zu gestalten?

Schon längst konnten die Kritiker feststellen, dass das Theater im Wandel ist ? das Nackttheater ist nicht das einzige Novum. Die Bühne ist laut geworden und heute nicht mehr mit der Theaterbühne von vor 30 oder 40 Jahren vergleichbar. Auf der Bühne soll sich Sex verkaufen, im Fokus stehen die künstlerischen Darstellungen. Die Bühne stellt damit das Gegenstück zu Videos dar.

Die Reize und Bilder werden auf der Bühne über andere Stilmittel getragen. Digitale Medien und Videos werden auf der Bühne genutzt, auch elektronische Beats kommen zur Verwirrung der Zuschauer immer stärker zum Einsatz. Der Einsatz der genannten Stilmittel kann zum medialen Feuerwerk werden. Die nackten Schauspieler sind ein weiteres Stilmittel, das zur größeren Lautstärke auf der Bühne beiträgt. Das aufgesetzte und teilweise zu kalkuliert wirkende Agieren der Schauspieler, die sich nackt oder nur in Schuhen zeigen, kommt nicht immer gut an. Angesichts der geforderten Intensität auf der Bühne schien es nur ein logischer Schritt zu sein, die Schauspieler nackt auf die Bretter, die die Welt bedeuten, zu schicken.


Es gibt dabei noch einen Unterschied zwischen dem künstlerisch angehauchten Nackttheater und dem „Ekeltheater“. Joachim Lottmann erfand den Begriff des Ekeltheaters, nachdem die Schauspieler in einer Art Fortführung des Nackttheaters ihre Ausscheidungen auf der Bühne präsentierten. Nicht angepasstes Publikum fühlt sich also von Darstellern angezogen, die auf die Bühne kacken? Dies geht vielen Zuschauern dann doch zu weit und sie sehen die künstlerische Seite der Darstellungen nicht mehr. Im Theater wird das anders gesehen, denn die Schauspieler und Intendanten möchten nicht so schnell wieder vergessen werden. Wer kein Freund der allgemeinen Anpassung ist, könnte demnach im Nackttheater gut aufgehoben sein.

Modernes Theater muss laut sein


Beispiele für das Nackttheater der Neuzeit

Wer Neues erleben will, geht heute ins Theater. Nacktheit kam schon in der Antike vor, als die Olympiateilnehmer ohne Kleidung ihre Wettkämpfe ausfochten. Stehen nackte Menschen heute auf der Bühne oder sind sie in einem Video zu sehen, erregt das die Zuschauer, doch nicht immer ist diese Erregung positiv. Häufig ist die Erregung beim Anblick der nackten Darsteller eher mit einem Ärgernis verbunden. Häufig wird aus der Erregung Ärger, wenn die Schauspieler nach Meinung der Zuschauer über die Stränge schlagen und ihre Nacktheit allzu stark zelebrieren. Im Folgenden findet ihr verschiedene Beispiele für Nackttheater:

  • Cabaret „Crazy Horse“

    Die nackt auf der Bühne arbeitenden Darstellerinnen des „Crazy Horse“ streikten in der Vergangenheit, arbeiteten dann aber doch weiter. Die Schauspielerinnen waren mit ihrer Entlohnung nicht zufrieden, nackt arbeiten wollten sie jedoch schon. Die anvisierte Gehaltserhöhung wurde durchgeboxt und die Schauspielerinnen und Tänzerinnen präsentieren sich heute wieder den alljährlich rund 140.000 Zuschauern. Gestern wie heute findet sich das Cabaret in der Nähe der Champs-Élysées in Paris, heute jedoch ist der Club in den Händen einiger Investoren aus Belgien.

  • Volksbühne mit dem „Prater“ als Dependance

    Aufmerksamkeit erregte das Stück „Die Sonne“. Nackte Männer dominieren das Stück von Olivier Py, der seinen Hauptdarsteller gegen Ende des Stücks sogar nackt ins Publikum gehen lässt. Laut Py soll die Nacktheit auf der Bühne unerträglich sein, allerdings empfanden die Zuschauer das gesamte Stück als wenig angenehm. Einige der Zuschauer verließen den Saal bereits vor Ende des Stücks und wussten mit den etwa dreieinhalb Stunden, die das Stück dauerte, Besseres anzufangen.

  • FKK-Theater in Paris

    FKK wird in Frankreich als normal angesehen, das Land zählt viele Nudisten. Die FKK-Strände sind im Winter aber leer. Die Nudisten in Frankreich waren findig genug, eine Lösung zu finden und zogen in ein Pariser Theater ein. Ein echtes FKK-Theater verlangt nackte Haut, daher zogen sich die Besucher im Palais de Glaces aus. Einmal ausgezogen, konnten sich die Zuschauer des Stücks „Nu et approuvé“ in den Zuschauerraum begeben. Aus hygienischen Gründen mussten alle nackten Zuschauer auf einem Handtuch sitzen, welches zuvor von zu Hause mitgebracht und nur für die VIP-Gäste seitens des Theaters gestellt wurde. Zur allgemeinen Erheiterung trug das Bild der nackten Gäste bei, die allesamt mit Socken und Schuhen bekleidet erscheinen durften. Das Zuschauen ohne Bekleidung war durch die angenehme Wärme im Raum sowie durch das gedämpfte Licht wohl durchaus angenehm für das Publikum. Das lässt vermuten, dass die meisten Zuschauer zwar nackt an der Veranstaltung teilnehmen wollten, jedoch wenig erfreut darüber waren, dass sie tatsächlich nackt waren.

  • Stadtpark New York

    Der New Yorker Park wurde für alle Theaterbegeisterten, die lieber ein wenig aufmüpfig sein wollten, zur Anlaufstelle. Das Stück „Der Sturm“ von William Shakespeare wurde hier im Park aufgeführt. Wer als Schauspieler mitmachen wollte, musste nackt auftreten. Zahlreiche Bilder haben die Reaktionen der Zuschauer eingefangen und viele dieser Bilder zeigen eher verwirrte Menschen, die wenig Begeisterung zeigen.


Nackttheater für alle spannend?

Auf der Theaterbühne scheint Nacktheit noch nicht völlig normal zu sein, was im Gegensatz zu den nackten Tatsachen in den öffentlichen Medien, in Film und TV erstaunlich sein mag. Eine Errungenschaft der Neuzeit sind nackte Körper wahrlich nicht, sie waren gerade im Theater schon immer präsent. Dass das Nackttheater auch Anhänger haben kann, zeigen die zahlreichen Anhänger, die sehr lebhaft von ihren Besuchen beim Theater berichten, recht anschaulich. Dass hinter der Nacktheit eine kleine Revolution stecken soll, sehen viele nicht. Dabei versucht das Theater, gegen ein ästhetisches Ideal zu protestieren und möchte keine politische Stellungnahme forcieren. Wenn es um Sex geht, soll dieser nicht auf die politische Ebene heruntergebrochen werden. Nackte Körper auf der Bühne eines Theaters sind nicht beschönigt und zeigen auch ihre unvollkommenen Seiten. Als Beobachtungen durch ein Schlüsselloch werden die Eindrücke beschrieben, die die Zuschauer bekommen, wenn sie zu Hause vor dem Fernseher sitzen oder im Kino einen Film mit nackten Menschen sehen. Wer als Zuschauer im Theater sitzt, wird aus seiner bloßen Beobachterposition gehoben und manchmal direkt mit einbezogen.

So denken die Schauspieler über das Nackttheater

Die Schauspieler beim Nackttheater sind nicht normal, das Publikum aber auch nicht! Das Nackttheater ist nicht jedermanns Sache und trifft auch unter Schauspieler durchaus auf Kritik. Vor allem das erste Mal auf der Bühne war für die meisten Schauspieler sehr gewöhnungsbedürftig und sie haben sich laut eigener Aussage erst später in ihrer Rolle wohlgefühlt. Viele Darsteller berichten aber auch darüber, dass sie sich wie befreit gefühlt haben und dass sie schon in den Proben alle Hemmungen verloren hätten. Die Unterhose nahm die letzten Hemmungen mit.

Häufig fallen die Hemmungen schon in der Probe, die Nacktheit auf der Bühne ist dann völlig unproblematisch. Die Schauspieler berichteten darüber, dass sie als Einheit agierten und keine Zusammenstellung einzelner Akteure waren. Eine Individualität gibt es nicht mehr. In einem Komplettorganismus gibt es kein Individuum, daher ist das Nacktsein auf der Bühne für jeden leichter. Die Darsteller empfinden ihre Nacktheit als weniger belastend, wenn der Inhalt des Stücks das Fehlen der Kleidung untermauert.

Die Beklemmung über die eigene Nacktheit ist durch die Inhalte des Stücks aufgehoben, was auch dazu führt, dass Berührungen unter den Schauspielern als normal empfunden werden. Sie kennen sich alle und haben die Scham voreinander verloren. Die Darsteller schämen sich nicht mehr wegen ihrer Nacktheit und das merken auch die Zuschauer, die sich deutlich gelöster zeigen. Sie wollen die Zuschauer mit einbeziehen, wählen aber wohl zuvor aus, ob das Publikum ihnen wohlgesonnen ist und ein Herabsteigen von der Bühne als angebracht betrachtet werden kann.

Schauspieler müssen die Nacktheit trainieren

Viele Zuschauer berichten begeistert darüber, dass sie durch das Nackttheater neue Erfahrungen machen konnten. Keiner der Zuschauer sagt von sich selbst, dass er ein ausgesprochener Nudist sei, der sich anderen Leuten nur noch ohne Kleidung zeigen will. Die meisten von ihnen wollen sich lediglich neu erfinden, möchten neue Dinge erleben oder sich nicht immer anpassen müssen. Manche sagten schon aus, dass sie wollten, dass ihnen das Blech vom Dach flöge. „Wir wollen, dass uns das Blech vom Dach fliegt!“, so die Aussage eines Zuschauers. Einige Zuschauer suchen nach Extremen und wollen etwas gänzlich Unerwartetes erleben. Ein Zuschauer war gar der Meinung, dass es gut sei, wenn einem „das Blech vom Dach flöge“. Befragt nach ihrer Intension, warum sie im Nackttheater seien, meinten einige Zuschauer, dass sie endlich etwas Verrücktes erleben wollten. Ob die Begeisterung im Vorfeld mit dem realen Erlebnis mithalten kann, bleibt fraglich.

Die Zuschauer müssen sich an die nackten Darstellungen ebenso gewöhnen wie die Schauspieler. Für die Darsteller ist die Gewöhnung an die Nacktheit auf der Bühne leichter zu ertragen, sie haben entsprechende Strategien schon in der Schauspielschule erlernt. Sich der Kleidung zu entledigen, gilt nur noch als letzter Schritt. Nackt auf der Bühne stehen die Schauspielschüler allerdings nur, wenn sie ein Stück proben, für das das wichtig ist. Hinzu kommt, dass viele Schauspieler alles andere als einen Modelkörper haben. Vielen Darstellern kommt es darauf an, die Unvollkommenheit zu zeigen, was für sie meist nicht einfach ist. Welcher Schauspieler kann schon einen so perfekten Körper zeigen, wie er dank bearbeiteter Videos angeblich immer vorhanden sein soll? Die Bühnendarstellungen sind somit vom Wesen echter Menschen geprägt und können ruhig mit Humor genommen werden. Zu wissen, dass auch die Menschen im Publikum unter ihrer Kleidung ähnlich aussehen, macht es für die Schauspieler leichter. Präsentieren sich Schauspieler und Publikum nackt, wird der Fitnesszustand des Publikums direkt sichtbar, hier sind keinerlei Spekulationen mehr nötig.


Fazit: Laut, intensiv und präsent: das Nackttheater

Ein Theater, in dem die Akteure nackt auf der Bühne stehen, ist ein Erlebnis für sich. Das Nackttheater wird heute schon fast als normal und nicht mehr als außergewöhnlich angesehen. Hemmungen, die normalerweise gegenüber der Nacktheit bestehen, werden im Nackttheater abgebaut. Das besondere Erlebnis des Nackttheaters nutzt sich ab, die Kunstform dürfte schwerlich Bestand haben.

Keine Kommentare

  1. Euren Beitrag finde ich sehr interessant, nicht zuletzt weil ich selbst ähnliche Erfahrungen machte. Das war vor ungefähr 12 Jahren, damals lebte ich noch in Russland und studierte. Eine Schulfreundin, die eine Ausbildung an der Kunstakademie absolvierte, fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte an einer Performance mitzuwirken. Dann wurde sie ein bisschen verlegen und sagte, dass die Darsteller die meiste Zeit nackt sein würden.Ich stamme aus einer Familie in der Nacktsein als etwas Alltägliches gilt, weswegen ich dieser Freundin.zusagte.

    Bei uns ist der Umgang mit Nacktheit ein bisschen eigenartig: Einerseits gilt es als vollkommen normal, wenn man in der Sauna oder beim Baden in der Natur unbekleidet
    ist; aber wenn man im Rahmen öffentlicher Darstellungen im Film oder auf der Bühne Nacktheit zeigt, kann das mit schwerwiegenden Konsequenzen verbunden sein. Dabei fällt mir der Skandal über den Auftritt einer nackten Girlgroup in Moskau ein – das war aber noch bevor Putin kam. Die Performance fand dann statt (das wäre heute in unserem Land wohl nicht mehr möglich).

    Es tut mir leid, wenn mein Beitrag möglicherweise am Thema etwas vorbeigeht !

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