Die Leiden des jungen Werther am Schauspielhaus Stuttgart

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Zusammen mit meiner besten Freundin Lisa sah ich mir „Die Leiden des jngen Werther“ im Schauspielhaus Stuttgart an. „Wem ist diese Thematik nicht bekannt? Verzweifelte Liebe, lieben im Übermaß, gegen jede Vernunft! Mich fasziniert noch heute die Geschichte des jungen Werther, der sich in die schöne Lotte (Julischka Eichel) verliebt, die jedoch tragischerweise einem anderen versprochen ist. Unglaublich, wie sich seine Obsession dann in seinen Briefen an den Freund Wilhelm entwickeln“, sagt Lisa, und ich kann ihr nur zustimmen. Natürlich habe auch ich das Buch gelesen, damals noch in der Schule, und erwarte gespannt den Beginn des Stückes unter der Regie von Simon Solberg.

Die Leiden des jungen Werther im Schauspielhaus: Moderne Inszenierung meets subtile Gesellschaftskritik

Uns fällt bereits kurz vor Beginn von „Die Leiden des jungen Werther“ die moderne Bühnengestaltung auf, die überhaupt nicht vermuten lässt, dass der Werther bereits im 18. Jahrhundert verfasst wurde. Werther, gespielt von Ole Lagerpusch, ist ein mobiler Mensch, der den heutigen Zeiten gerecht wird. Wir sind ein wenig überrascht, dass er Lotte und ihren Verlobten Albert in der Wildnis, irgendwo zwischen dem Kongo und Amazonien, trifft.

„Das ist ja fast wie bei Pocahontas“, scherzt meine Freundin. Werther lernen wir als nerdigen Chaoten kennen, der sehr unbeholfen wirkt, ständig über seine Füße fällt und stottert. „Also mein Typ wäre er wohl auch nicht“, stellt Lisa fest. Albert hingegen, gespielt von Gunnar Teuber, tritt als selbstsicherer militanter Macho in Erscheinung, der seine Verlobte Lotte auch gerne einmal maßregelt. „Für mich hat er Potential und steht für den heutigen Kapitalismus.

Matti Krause (Bauersburch), Gunnar Teuber (Albert), Juliaschka Eichel (Lotte), Ole Lagerpusch (Werther), Hanna Plaß (Base), Sven Kaiser (Wilhelm). (#1)

Matti Krause (Bauersburch), Gunnar Teuber (Albert), Juliaschka Eichel (Lotte), Ole Lagerpusch (Werther), Hanna Plaß (Base), Sven Kaiser (Wilhelm). (#1)

Clever, sowas in dem Stück einzubauen. Im Werk wird Albert ja eher brav und stabil dargestellt“, stelle ich fest. Stattdessen erzählt er Werther, dass töten okay sei, aber Selbstmord? Er könne es sich nicht vorstellen, sich zu erschießen. So weit, so gut – am Anfang ist ja auch noch nicht ganz klar, für wen Lotte sich entscheiden wird. Als sie ihn küsst und ihr Verlobter Albert das Techtelmechtel im Eisbärenkostüm unterbricht, frage ich mich, ob es der Regisseur mit seiner Direktheit und seiner Bildhaftigkeit nicht doch ein wenig übertrieben hat! Nach und nach nimmt das Stück jedoch an Fahrt auf und verwandelt sich in eine Art Actionfilm – damit habe ich nicht gerechnet! Werther, dem langsam dämmert, dass er Lotte nicht haben kann, steigert sich mehr und mehr in seine Verzweiflung hinein und auch der Bühnenschauplatz wird düster.

Ehe wir uns anders versehen, ist Ole Lagerpusch umgeben von Donnern und Blitzen, es werden reale Kriegsszenarien eingespielt. Blutbesudelt und verschwitzt taumelt Ole Lagerpusch auf der Bühne herum und schreit seinen Schmerz in die Welt hinaus: „Es hat sich vor meiner Seele wie ein Vorhang weggezogen, und der Schauplatz des unendlichen Lebens verwandelt sich vor mir in den Abgrund des ewig offenen Grabes.“ Ich bekomme eine Gänsehaut, da mich sein Gefühlschaos aus Naivität, Verzweiflung und berauschende Ekstase nicht kalt lässt.

Juliaschka Eichel (Lotte), Ole Lagerpusch (Werther). (#2)

Juliaschka Eichel (Lotte), Ole Lagerpusch (Werther). (#2)

Bald habe ich das Gefühl, dass das Stück immer mehr an Fahrt gewinnt: von dem brodelnden Kriegsplatz hin zu einer öden, kargen Landschaft, die symbolisch für den drohenden Abgrund (Werthers) steht. „Es ist mal etwas Anderes, dass alle möglichen aktuellen Themen in die Inszenierung eingebaut werden,“ merkt meine Freundin an.

Und tatsächlich reicht die Bandbreite, wie ich finde, von Waffenlieferungen über Krieg und Naturverschmutzungen bis hin zu psychologischen Erkrankungen unserer Gesellschaft. Das unvermeidliche Ende des jungen Werther fällt eher leise aus, anders als erwartet. Nach den Stück im Schauspielhaus Stuttgart diskutieren wir über dessen Irrungen und Wirrungen. Lisa und mir haben in „Die Leiden des jungen Werther“ die Bezüge zur aktuellen Leistungsgesellschaft und die subtile Kritik daran sehr gut gefallen, ebenso der stetige Aufbau des Werkes, von einem komödiantischen Zwischenspiel hin zu einer actionsreichen Tragik-Inszenierung. Freunden von direkten Adaptionen, bildlichem Schauspiel mit Provokationen und actionreichen Gags wird diese Variante des jungen Werther gefallen.


Bildnachweis: © Schauspielhaus Stuttgart / JU_OSTKREUZ

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